Mein inneres Liebesmeer
Genau dann, als meine Beziehung mit Stefan endete, zog ich also um in dieses niedliche kleine Häuschen auf dem großen verwilderten Grundstück. Die ersten Jahre verbrachte ich in einem kreativen Rausch: Erst machte ich mir innendrin alles wunderschön warm und gemütlich und dann fing ich an, den Garten zu lichten und zu gestalten.
Beziehungen, Liebe, Männer und Sex verschwanden völlig aus meinem Leben. So sehr, als ob es das alles nie gegeben hätte. Erst wunderte ich mich selbst manchmal darüber – das war doch nicht normal? – aber dann hatte ich einfach keine Lust mehr, mir darüber Gedanken zu machen. Vielleicht hatte die Zeit mit Stefan mich auch einfach von der Vorstellung geheilt, dass eine Beziehung unbedingt zum Leben dazugehören musste? Ich konnte nicht sagen, was wirklich dahintersteckte, aber ich wollte mir vertrauen, dass alles schon irgendwie seine Richtigkeit hatte, auch wenn ich den Grund dafür nicht kannte. Außerdem waren da meine Schmerzen, so dass ich meistens sowieso am liebsten allein sein wollte. Und mein Häuschen war einfach unglaublich gemütlich und alles darin war meine wunderschöne Energie – ich hatte überhaupt kein Bedürfnis, irgendwo anders oder mit anderen zu sein. Hier war alles ich und etwas Harmonischeres konnte ich mir nicht vorstellen.
In den Wintern entwickelte ich zwei Hobbies, oder sozusagen ein Doppelhobby: Ich hatte entdeckt, wie unfassbar viele Filme man sich im Internet angucken konnte und ließ mich jeden Abend stundenlang davon berieseln. Und parallel dazu machte ich die zweite Hälfte meines Hobbies: Ich knüpfte Armbänder aus Baumwollstickgarn. Das hatte ich früher in der Schule viel gemacht. Und heute – mit eBay – konnte man das damals noch sehr teure Stickgarn für Centbeträge kriegen. Ich besorgte mir einen riesigen Schuhkarton voll davon in allen erdenklichen Farben und konnte über Monate – oder Jahre? – an fast nichts anderes mehr denken als an das nächste Muster und die nächste Farbkombination, die ich unbedingt ausprobieren wollte. Ich träumte sogar davon und wachte mit ganz neuen Farben im Kopf auf! Bald hatte ich so viele fertige Armbänder, dass ich versuchte, sie im Internet zu verkaufen. Das funktionierte nicht gut – bis auf ein Mal: Da bekam ich von einer Frau aus Hamburg einen Großauftrag und verkaufte ihr Armbänder für 1000 Euro! Bis heute habe ich noch hunderte von diesen wunderschönen Armbändern und ich hatte immer das Vertrauen, dass sich irgendwann eine perfekte Gelegenheit ergibt, sie doch noch unter die Leute zu bringen. Kannst du dir vorstellen, wie gemütlich die Atmosphäre bei mir war? Mein helles, so freundliches Wohnzimmer, der warme Ofen, meine zwei kuscheligen Katzen und ein schöner Film – und ich hockte davor und knotete und knotete und knotete und war voller Freude über meine neuste Farbkombination. Ich konnte nicht genug davon kriegen und weil ich nicht wirklich beschreiben kann, was genau daran mich eigentlich so glücklich machte, habe ich dir für diesen Artikel ein Bild von so einem Armband ausgewählt. Vielleicht kommt irgendwas rüber?
Fast sieben Jahre lang war ich mit allem Möglichen beschäftigt, nur nicht mit Männern: mein Häuschen, mein Garten, die Grenzsteine, später dann meine Webseite und irgendwann meine Coachings. Das klingt alles sehr schön, aber trotzdem waren das alles nur Nebenbeschäftigungen. Denn meine Hauptbeschäftigung blieb meine Selbsterforschung, zu der meine Schmerzen mich Tag und Nacht zwangen: Die meiste Zeit verbrachte ich auf dem Sofa oder im Bett und spürte nach, was denn da so weh tat. Bis die nächste Schicht Schlangenhaut absprang und ich mich eine Zeit lang wieder meinen beglückenden „Nebenjobs“ widmen konnte.
Und dann tauchte eines Tages ein kleiner Mann auf. Ich sage „klein“, weil er noch so jung war. In Wahrheit war er zwei Köpfe größer als ich! Wir waren uns in einer Post begegnet, er arbeitete dort. Ich spürte, dass er sich zu mir hingezogen fühlte, aber ich wusste überhaupt nicht, wie ich aus dieser Wahrnehmung irgendwas machen sollte – ich hatte alles vergessen, wenn es um Liebe ging! Trotzdem kriegten wir es irgendwie hin, uns zu verabreden: zum Kaffee bei mir zuhause. Ich konnte es nicht glauben, ich fühlte mich wie ein Marsmensch: Was musste ich tun, wie lief sowas nochmal ab? Bisher siezten wir uns, wie sollte das bloß werden? Als der Tag kam, war ich so dermaßen aufgeregt, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, nicht in Ohnmacht zu fallen, sobald die Klingel ging. Aber dann, als es klingelte, fiel mir in letzter Sekunde etwas ein, das mich zumindest bei Bewusstsein hielt – ich machte die Tür auf, versuchte, Sebastian anzugucken und stammelte: „Bin nur ich so aufgeregt – oder du auch?“ Und dann sah ich ihn erst richtig an und merkte, dass er sogar noch mehr kurz vorm Umkippen war als ich – es wirkte fast wie ein Wunder, dass er es überhaupt bis zu mir geschafft hatte! Ganz spontan umarmte ich ihn und danach wurde es gleich ein kleines bisschen leichter.
Ich zeigte ihm mein Häuschen und wir tranken Kaffee und unterhielten uns ganz unbeholfen über seine Arbeit und meinen Garten. Aber dann – beugte er sich zu mir rüber und küsste mich einfach! Nur ganz vorsichtig und fragend. Hui! Ich war einerseits erleichtert. Bloß leider, leider – fühlte sich der Kuss irgendwie nicht schön an. Nein, sogar ganz verkehrt – was war denn da bloß los? Ich hatte mir das doch gewünscht? Ich musste mich ein bisschen wegdrehen, um mich zu sortieren und Sebastian guckte mich ganz verunsichert an. Und dann – spuckte ich es aus: „Ich möchte dich wenn dann richtig berühren.“ Sebastian verstand das nicht: „Ja, aber… du sitzt so weit weg?“ Da stand ich auf und nahm seine Hand und führte ihn in mein Schlafzimmer. Ich legte mich auf mein Bett und schaute ihn unsicher an. In dem Moment wurde sein Gesicht hell und glücklich und dann lag er auch schon neben mir. Und jetzt küssten wir uns richtig. Jetzt war es gut – so, so schön und gut!
Was in den nächsten Stunden passierte, kann ich leider gar nicht mit Worten beschreiben. Aber versuchen möchte ich es trotzdem so gut ich kann.
Ich verschmolz sozusagen mit mir selbst. So nah und innig wie noch niemals vorher. Jeder Muskel in meinem Körper löste sich, alles in mir weitete sich, als ob sich jede einzelne Zelle mit einer zärtlichen Luft füllte. Mein Körper wurde schwerelos und die Mareike, die ich bisher kannte, war nicht mehr da. Stattdessen war eine viel realere und lebendigere Version von mir in mich gekommen. Ich fühlte mich wie ein Kanal für mein wirkliches, seelisches Ich – und das füllte mich jetzt vollständig aus. Es wusste, was es wollte und es machte, was es wollte und mir blieb nichts anderes übrig, als dieses Wunder völlig passiv zu genießen.
Es passierte das, was ich schon in meinem früheren Artikel beschrieben habe. Und ich hoffe, dass es schon darin deutlich wurde, aber damit kein falscher Eindruck entsteht: In meiner Sexualität gibt es keine ausufernde Akrobatik oder komplizierten Verrenkungen – sowas wäre einfach viel zu unruhig für das supersuper Zeitlupentempo, in dem alles geschieht. Von Anfang bis Ende bleibt äußerlich alles ganz unspektakulär mehr oder weniger waagerecht. Denn das Entscheidende findet innerlich statt. Und das ist so intensiv, dass ich mich allein mit einem Quadratzentimeter Haut des anderen über Stunden erfüllend beschäftigen könnte. Ich kenne nichts Beglückenderes und ich bin mir sicher, dass es in der menschlichen Welt auch nichts Beglückenderes gibt: Das hier ist für mich der Himmel auf Erden.
Durch den Rest des Tages schwebte ich. Und ich wusste: Wenn solche Erfahrungen dauerhaft in meinem Leben wären, dann wäre in meinem Körper einfach kein Platz mehr für Schmerzen. Sobald ich in diesen Liebestrance-Zustand versunken war, hatten sie sich komplett aufgelöst.
Bloß mit Sebastian erlebte ich leider gleich hinterher einen Schock. Ich war so selig und strahlte ihn an. Aber genau das veränderte ihn plötzlich. Er wurde kalt und abweisend und dann fragte er mich fast verärgert: „Hast du dich in mich verliebt?“ Ich verstand die Frage nicht, ich war ganz verdattert. Verliebt? Was sonst war das alles hier denn gewesen als innigste und reinste Liebe? Aber dass er plötzlich so eiskalt wurde, verschreckte mich so sehr, dass ich gar nichts mehr sagen konnte. Als er ging, blieb ich verwirrt zurück.
Es dauerte viele Tage und viele Schmerzen, bis ich begreifen konnte, was passiert war: Sebastian hatte meine Liebe gar nicht wahrgenommen. Und als er sie in meinem Gesicht gesehen hatte, konnte er sie nur mit dem interpretieren, was er kannte: Für ihn muss ich ausgesehen haben wie eine blind verliebte Frau, die ihn besitzen und einengen wollte. Er konnte sich anscheinend gar nicht vorstellen, dass meine Liebe ganz anders sein könnte – dass sie nichts von ihm erwartete, sondern einfach nur geteilt werden wollte. Erst fragte ich mich, ob er vielleicht wirklich noch zu jung dafür war, 16 Jahre jünger als ich. Aber dann spürte ich, dass es damit überhaupt nichts zu tun hatte – Sebastian kannte diese Art von Liebe bisher einfach nicht, sie war ihm völlig fremd. Das tat mir für uns beide leid und es machte mich sehr traurig.
Aber am Ende tröstete mich eine unglaublich beflügelnde Erkenntnis: Mir wurde klar, dass das, was ich da Wundervolles erlebt hatte, überhaupt nichts mit Sebastian zu tun gehabt hatte. Denn das alles war doch in mir selbst gewesen und aus mir gekommen. Sebastian war da, damit es in Fluss kommen konnte – damit es vom Himmel hier auf die Erde in diese Realität fließen konnte. Aber ich konnte es doch immer wieder erleben, mit anderen Partnern. Es gehörte mir und niemand konnte es mir jemals wegnehmen. Dieses eine Erlebnis hatte es zum ersten Mal in seiner ganzen Magie in mein Leben befördert. Und gleichzeitig spürte ich, dass das nur der Anfang war. Und für die Zukunft wählte ich: Nur noch Männer, die meine Liebe überhaupt in ihrer ganzen Tiefe wahrnehmen können.
Fortsetzung folgt – hier!
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Katharina (Mittwoch, 15 Februar 2023 19:10)
:)) herrlich. Die Frauen Power hat ihn verschreckt......
Mareike (Donnerstag, 16 Februar 2023 09:28)
Danke! Liebe Katharina!